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 Stefan Gwildis: Heut ist der Tag

CD-Review

 

Stefan Gwildis: Heut ist der Tag

(erschienen: Januar 2007)

 

 

 

Vier Jahre in den Rückspiegel geschaut, um 2007 die Spur wechseln zu können –

Soul-Cover-König Stefan Gwildis mit Eigenkompositionen auf der Überholspur

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Als Joss Stone vor einigen Jahren mit 16 Jahren ihr Soul-Debut präsentierte, ging sie auf Nummer sicher. Die „Soul sessions“ enthielten ausschließlich Cover-Versionen bekannter Soulklassiker. Erst auf den beiden Nachfolgealben wurden die Eigenkompositionen veröffentlicht. Würde man jetzt aber ein Best-Of der drei Alben nach Qualität zusammenstellen, so würden die „Soul sessions“ den überwiegenden Anteil der Titel stellen. Die Eigenkompositionen kamen sowohl in Komposition, Text, Arrangement und Produktion nicht an das geniale Debut heran.

 

Den Neustart in 2003 wagte Stefan Gwildis im fortgeschrittenen Alter von 44 Jahren mit „Neues Spiel“, einem Album mit Cover-Versionen von Soul-Klassikern. Diese hatte Stefan, meist im Team mit Michy Reincke, mit neuen, deutschen Texten unterlegt. Sehr gelungen die Texte, und auch die Passfähigkeit zur Melodie und zum Originalklang. Sehr gelungen auch Arrangement und Produktion. Eigene Titel hatte man damals versteckt – im wahrsten Sinne des Wortes kam die einzige Gwildis-Komposition als versteckter Titel auf das Album. Zwei Jahre später war man mit dem Album „Nur wegen Dir“ schon mutiger und veröffentlichte mehr Eigenkompositionen, aber auch hier waren die Soul-Klassiker in der Überzahl.

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Das Verhältnis dreht sich nun mit „Heut ist der Tag“ um: Zählt man den versteckten Titel mit, so enthält das neue Album acht Eigenkompositionen und fünf Soul-Klassiker mit deutschen Texten. Das Erstaunliche daran: Würde man sich bei Stefan Gwildis für ein Best-Of die fünf oder sechs besten Titel des Albums aussuchen dürfen, so würde bei mir maximal ein Soul-Klassiker darunter sein. Die Eigenkompositionen sind so gelungen, dass ich beim ersten Anhören (an einem Abend vor der Veröffentlichung auf NDR2) lange nach dem passenden Soul-Klassiker gesucht hatte – bis klar war, dass es keinen gab.

 

Eine titelweise Vorstellung des Albums soll hier nicht vorgenommen werden, da wir dies im Konzertbericht über die Albumvorstellung im Januar 2007 schon für die Live-Versionen hier gemacht haben. Nur ein Titel soll hier erwähnt werden, weil er konsequenterweise in keinem Live-Programm bisher auftauchte.

 

Der versteckte Titel Hinter den Gardinen ließ mich bei der ersten Radio-Präsentation auf NDR2 ziemlich lange gedankenversunken vor dem Radio sitzen bleiben. Der Text handelt vom Missbrauch in Familien, in kleinbürgerlichem Milieu. Der Titel startet mit der Alltagsgeschichte eines Mannes, der in seine Wohnung kommt. Seine Frau putzt und kocht .. und langsam merkt man, dass dort etwas vorgefallen ist. Strophe für Strophe entwickelt sich der Text .. und enthüllt dann in der letzten Strophe das unfassbare .. das hinter den Gardinen in Familien Ausmaße annehmen kann, dass der Weiße Ring den Opfern eine neue Identität verschaffen muss.

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Dieser Text beweist, dass man auch schwierige Themen in deutscher Sprache singbar und melodisch aufgreifen kann. Die Texte auf Heut ist der Tag wechseln zwischen Mutmachern (Irgendwas geht immer, Heut ist der Tag), gescheiterten oder virtuellen Beziehungen (Warum liebst Du mich nicht, Schöner), selbstironischen Darstellungen (Geht klar) und auch sozialkritischen Themen. So beschreibt Großer Mond die Geschichte eines Arbeitslosen in einer trostlosen Gegend, dessen wesentlicher Tagesinhalt das Transportieren von Leergut zur Tankstelle und das Besorgen von Alkoholnachschub ist. In Wie ein richtiger Mensch fragt sich Stefan Gwildis, ob die Werbesprüche und Produktanpreisungen in den heutigen Medien nun wirklich das bringen, was sie in der Werbung versprechen. So hat sich der Sänger einmal sehr über den Werbespruch eines Kreditkartenanbieters aufgeregt, dass man sich allein mit Hilfe der Kreditkarte sehr frei fühlen kann – das Gegenteil ist der Fall: wer sich wie ein richtiger Mensch fühlen will, braucht die Ketten nicht, die einem dadurch angelegt werden.

 

Werde ich nach den besten Titeln des Albums gefragt, so ist Tanzen übern Kiez ein Gute-Laune-Titel über Hamburg, der als Cover eines Soul-Klassikers in diese Auswahl kommt. Die weiteren Perlen des Albums sind dann Eigenkompositionen, von Heut ist der Tag über Schöner, Geht klar und Anker werfen, Segel setzen. Und dann fehlt noch das Highlight an sich, Amelie.

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Amelie enthält eine Textzeile, die von Michy Reincke stammt und die bereits im Konzertbericht vom Januar 2007 erwähnt wurde. „In den Rückspiegel schauen, um die Spur wechseln zu können“, das gilt auch für die Musik von Stefan Gwildis. Ab 2003 hat er in den Rückspiegel geschaut und sich auf Soul-Musik besonnen und diese in ein deutsches Textgewand gepackt. Musikalisch hat er sich dann in den letzten vier Jahren so weiterentwickelt, dass er nun Soul, Pop und Funk mischt,  mit natürlichen Instrumenten (Hammond und Rhodes statt Synthesizer) spielt und nun auch Gospelelemente dazumischt. Gerade auf diesem Album, und gerade beim Titel Amelie, sticht der Background-Chor mit Regy Clasen, San Glaser, Julia Schilinski und Marion Welch hervor. Die wunderschönen Gospelanteile (auch eingemischt in andere Titel) sind eines der Markenzeichen vom Stefan-Gwildis-Sound des Jahres 2007. Stefan Gwildis hat die Spur gewechselt: Mehr Eigenkompositionen, die sich nicht verstecken müssen. Im Gegenteil! Und vom Musikstil her ist das neue Album auch noch reicher als die Vorgänger. Die neue Spur ist wohl tatsächlich die Überholspur.

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Das Album ist ein Highlight, das Stefan Gwildis in der ersten Woche auf Platz zwei der deutschen Album-Charts brachte. Und wäre das Album von Nelly Furtado nicht gerade in dieser Zeit zu Dumping-Preisen auf dem Markt gewesen, hätte es sogar für die sensationelle Pole Position reichen können.

Eine im Januar noch angebrachte Kritik können wir uns mittlerweile, im September 2007 angelangt, sparen: Die bessere Variante von Heut ist der Tag wäre sicher noch Heut ist der Tag, live eingespielt. Diese Version gibt es nämlich seit kurzem auch. Über Let’s did it berichten wir dann in Kürze auf diesen Seiten.

 

 

9 von 10 Sternen

 

(a.h., andreas@lonereviewer.de)

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Fotos: Offizielle Pressefotos von Kuestercom

 

 

 

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