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 Regy Clasen 2006  (Schmidts)

 

Regy Clasen und Akustik-Band in Schmidts Theater, Hamburg, 26. März 2006

 

Wenn Regy singt, ist Frühlingsanfang

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die (fast) perfekte Liebesnacht für Regy im Schmidts

 

Der Winter 2005/2006 dauert ewig. 1. März: Meteorologischer Frühlingsanfang, von Frühling aber keine Spur. 20. März: Offizieller Frühlingsanfang, von Frühling immer noch keine Spur. 25. März: Weiterhin ist es grau, frostig, neblig an der Ostseeküste. 26. März: Es geht auf Richtung Hamburg. Wir starten bei 5 Grad Außentemperatur. Im Auto neben vier Konzertbesuchern in spe auch ein Mitschnitt von Regy’s NDR2-Radiokonzert. Um 18:30 Uhr scheint uns  - endlich – auf der Einfallstraße nach Hamburg die Sonne ins Gesicht, die Sonnenblenden müssen in Aktion treten. Im Autoradio läuft dazu – natürlich – das passende Lied: „Endlich“, Regy Clasens Frühlingslied, live in der Radiokonzert-Version. Alle im Auto sind begeistert: Jetzt wird es Frühling. Und Regy hatte es tatsächlich geschafft, die Außentemperatur zum  Konzertbeginn auf 16 Grad zu steigern. Vom Parkhaus zum Schmidt’s Theater gehen wir, ohne die Wintermäntel aus dem Auto mitgenommen zu haben.

 

Eine interessante Parallele zum Frühjahr 2004: Der Frühling begann während eines Kurzurlaubs auf der autofreien Insel Hiddensee. Und am Vorabend dieses Urlaubs erhielt ich gerade das neue Regy-Clasen-Album „Wie tief ist das Wasser“ in der Live-Version. Auf Hiddensee wurde das Album dann dauernd gespielt, auf einen Album-Durchlauf kamen damals zehn Durchläufe von „Endlich“, dem Frühlingssong. Endlich, auf Hiddensee, wurde es damals auch für uns Frühling. Während der Fahrradtouren schien uns die Sonne ins Gesicht und auf den Ohren brannte Regy – statt des von Regy besungenen Rappers Dende.

 

Der erste Frühlingsabend nun also bei 16 Grad auf der Reeperbahn am Spielbudenplatz. Das neu renovierte Schmidt’s Theater zeigte sich von seiner besten Seite. Entspannt nahmen wir rechtzeitig vor Konzertbeginn unsere Plätze in Reihe 7 im Parkett ein. Wie sich später herausstellen sollte, war es eine Wohltat für Augen und Ohren. Unverstellter Blick und bester Sound sowie bequeme Theatersessel sollten uns im Konzert begleiten.

 

Zunächst bemühte sich das Service-Personal noch, die Zuschauer mit Getränken zu versorgen, was bei den in Reihenmitte befindlichen Kunden zum Happening wurde („geben Sie mal die Cola bis Platz 17 und dann das Geld wieder zurück?“). Um 20 Uhr die Ansage eines Schmidt’s-Einweisers, wie das Publikum an Saalrunden kommen würde: Rauchen während des Konzerts, Fotografieren während des Konzerts, und schon würde die Saalrunde perfekt sein. Leider rauchte nachher nur Ralli, Regy’s Bassist, auf der Bühne. Und Fotos machte wohl gar keiner. Das merkt man – leider negativ - auch an diesem Konzertbericht.

 

Um 20:20 Uhr begann dann die Vorgruppe, die David-Huhn-Band. Einen passenderen Auftakt hatte ich bei Regy-Konzerten noch nicht erlebt. Feine deutsche Popmusik mit akustischen Instrumenten und teilweise melancholischen Texten passt nun einmal zur Hauptperson des Abends, und David Huhn machte durch vier Titel kräftig Werbung für sich und seine Band. Mit Felix Weigt (Kontrabass), Markus Bartel (Gitarre), Sönke Reich (Drums, Percussion), David Huhn (Gesang und Gitarre) und .. Matthias Clasen (Saxophon, Piano, Flöte) (da war doch was?) konnte die Band dann auch das Publikum im Schlusslied zum Mitsingen animieren. Und Mat Clasen? War er fremdgegangen? Naja, er wurde zur Wunderwaffe des gesamten Abends und musste als Einziger Überstunden machen und zwei Konzerte absolvieren. Nett auch, dass Teile der Regy-Clasen-Band wie der Schlagzeuger Emre Akca die Vorgruppe von der Treppe zum Backstage-Bereich aus beobachteten.

 

Statt des Dendes brannte dieses Mal leider ein Brummton aus den Lautsprechern auf unseren Ohren, der erst verschwand, als die Gitarre von Markus Bartel entstöpselt wurde. Nach einer kurzen (viel zu kurzen, wie sich herausstellen sollte) Umbaupause, kam Regy Clasen mit ihrem Bruder Matthias auf die Bühne, um das Hauptkonzert des Abends zu beginnen.

 

Unser Anspruch an ein perfektes Konzerterlebnis, mindestens eine Panne erleben zu können, hatte sich im Background-Chor der Stefan-Gwildis-Band wohl mittlerweile herumgesprochen. Chor-Mitglied Sandra Glaser hatte in ihrem Konzert Mitte Februar die Auflage schon im ersten Lied durch einen defekten Keyboard-Hocker erfüllt, Chor-Mitglied Regy Clasen hatte es an diesem Abend nun noch eiliger und baute die Standard-Panne bereits vor dem ersten Lied ein. Als sie, von rechts auf die Bühne kommend, nach einer kurzen Begrüßung des Publikums links zum Keyboard ging, merkte sie, dass man dort zwar gut Keyboard spielen konnte, aber nicht singen: „hier stand doch mal ein Mikrofon“. Schnurstracks ging sie zurück zur Bühnenmitte und begann, am Hauptmikrofon einige Witze zur Überbrückung zu erzählen. Bruder Matthias wurde mittlerweile zum Volkshelden, da er das zuständige Mikrofon fand, allerdings auch deutlich dem Publikum das nächste Problem aufzeigte: Das Mikrofon war nicht angeschlossen. Endlich – begann nicht nur der Frühling, sondern auch die Bühnentechniker wachten auf und installierten in wenigen Minuten das Gesangsmikrofon am Keyboard. Und mit wenigen Minuten Verspätung begann dann das Konzert. Regy am Keyboard und am frischen Mikrofon und Mat Clasen an der Bassflöte intonierten „So gerne“, die Superballade von Regy. Einer der Höhepunkte des Konzerts saß also gleich am Anfang. Und die perfekte Panne hatte man auch schon präsentiert.

 

Die weiteren Höhepunkte des ersten Konzertteiles vor der Pause bestanden vor allem aus Neu-Arrangements von Perlen des ersten Regy-Albums „So nah“. Mit dem Protestsong „So ungerecht“, in dem Regy wirklich die Aufgebrachte auf der Bühne spielte, der immer missverstandenen „Liebesnacht“ ohne Schlagzeug und Percussion, dafür mit Schlagzeuger Emre an der Geige neben dem Stamm-Cellisten Hagen Kuhr und Mat Clasen an der chinesischen Flöte, und dem Titellied „So nah“ hatte Regy drei frühe Eigenkompositionen im Feuer.

 

Zum Titel „Liebesnacht“ gab es eine längere Erläuterung von Regy. Der wohl am häufigsten fehlinterpretierte Titel ihrer beiden Alben handelt nicht von einer Liebesnacht im üblichen Sinne, sondern von der Begeisterung nach einem Marc-Cohn-Konzert. Die Begeisterung übertrug sich nicht nur auf Regy im Publikum, die danach nach Hause flog, sondern auch auf den Sänger auf der Bühne, den tausend Seelenlichter im Publikum glücklich machten. Vor der zweiten Zugabe gab es diesen Textteil von Regy auch als Zitat, das Publikum im ausverkauften Schmidt’s Theater hatte auch sie an diesem Abend glücklich gemacht, die Liebesnacht konnte an diesem Abend auf Regy umgeschrieben werden.

 

Nicht ganz so begeistert war Regy Clasen von Herbert Grönemeyer, der ihr zwar vor Jahren das Männer-Cover genehmigte, im letzten Jahr im Interview aber mit „Regy wer?“ zu erkennen gab, dass er sich nicht an das Cover erinnern konnte. „Herbert, wer?“ konnte das Publikum nach dem Neuarrangement von Männer mit Martin Meyer am Akkordeon fragen. Wer genau aufpasste, fand „Herbert“ sogar im Text wieder.

 

Auch von Schwindelig gab es eine Langversion an diesem Abend, mit dem Landschaftsgärtner im Text und einem schwungvollen, instrumentalen Latino-Ende. Und nachdem es dem Publikum nun schwindelig war, konnte es sich in der Pause bei immer noch 16 Grad auf dem Spielbudenplatz erfrischen. Die Saxophonistin in unserer Besuchergruppe, seit wenigen Minuten zum Regy- und Mat-Clasen-Fan geworden, fragte sich, was denn Matthias Clasen an diesem Abend noch an Instrumenten spielen würde. Sogar Keyboard-spielend in der Vorgruppe, hatte er von der Bassflöte und der chinesischen Flöte noch mehrere Flöten bis hin zu Saxophonen im Gepäck. Percussion spielte er auch, der aufregendste Einsatz wartete aber nach der Pause..

 

Direkt nach der Pause kam mit Keine Liebe mehr der traumhaft gespielte Dialog von Regy Clasen mit ihren beiden Göttern im Background-Chor (Mat Clasen und Martin Meyer). Götter: „Lass ihn los, lass ihn gehen“,  Regy: „Weise Worte an der Wand“, Götter: „Lass ihn los, lass ihn gehen“, Regy: „Götter, zeigt mir Euren Plan“. Mit ihrer aufregenden Wiege-Performance, die Füße wie angekettet auf dem Bühnenboden, den Oberkörper aber im Takt um zehn Zentimeter nach links und rechts bewegend, brachten Mat und Martin das Publikum fast vom eigentlichen Thema des Songs ab und hatten die fetten Grinser auf ihrer Seite.

 

Ernster wurde es dann bei Wo bist Du. In der Ansage erklärte Regy mit stockender Stimme, dass sie das Lied für eine an Krebs verstorbene Freundin aus der Vokalgruppe Five Live geschrieben hatte.

 

Aufgelockerter wurde es, als das Publikum bei Ich fahr zu Dir die Strophe „frei wie der Wind, wenn er weht“ mitsingen durfte, was auch ohne doppelten Boden und ohne zweiten Versuch gut klappte.

 

Bei Da werd ich sein wurde Regy sogar mutig und teilte das ihrer Meinung nach wohl sehr talentierte Publikum in drei Background-Chöre ein: Rang, Parkett links und Parkett rechts sangen dann miteinander. „Wo immer Du mich brauchst“ (Rang) und „Da werd ich sein“ (Parkett links) klappten im Wechsel dann schon ganz gut, die Herausforderung lag dann für Parkett rechts (da saßen wir) darin, „In Ankara, in Panama“ zeitversetzt über „Wo immer Du mich brauchst“ zu singen. Beim dritten Versuch klappte es hervorragend und dann rollte der 400-köpfige Background-Express so richtig los.

 

 

Die vollständige Setlist des Konzertes, das aus zwei 50-Minuten-Blöcken plus zwei Zugaben-Teilen bestand:

 

So gerne

So ungerecht

Liebesnacht

Träumst Du nicht

So nah

Frag nicht, warum

Männer

Schwindelig

 

Pause

 

Keine Liebe mehr

Heimlich zur Nacht

Wo bist Du

Ich fahr zu Dir

Lass es so sein

Immer noch

Da werd ich sein

Kann ich bleiben

Fischer, Fischer

 

Zugabe 1:

 

Ergib Dich

Endlich

 

Zugabe 2:

 

Blind

Ich seh Dich

 

 

 

Das Lineup der Regy-Clasen-Akustik-Band an diesem Abend:

 

Regy Clasen – Lead-Gesang, Keyboards

Emre Akca – Cajon, Percussion  (vor der Pause), Schlagzeug (nach der Pause), Geige in der Liebesnacht

Ralli D. – Kontrabass (vor der Pause), Bassgitarre (nach der Pause)

Martin Meyer  -  Rhodes, Keyboards, Akkordeon (bei Männer), Background-Gesang

Christian Gauger - Akustikgitarre

Matthias Clasen – Bassflöte, Chinesische Flöte, Sopran- und Altsaxophon, Querflöte, Tin Whistle, Percussion, Background-Gesang

Hagen Kuhr - Cello

 

Die Band konnte sich mehrfach in den Vordergrund spielen. Mat Clasen war durch seine Doppel-Performance, seine Vielfalt und mehrere Soli an Saxophonen und Flöten eine der Hauptpersonen des Abends. Jeweils in den Anfangshälften beider 50-Minuten-Blöcke gab es auch noch traumhafte Auftritte von Hagen Kuhr am Cello, gekrönt vom Duett mit Emre Akca an der Geige. Auch Ralli D. konnte sich im Schlussteil an der Bassgitarre mit einem Solo auszeichnen, Christian Gauger mehrfach mit Soli an der Akustikgitarre, insbesondere natürlich die Perle bei Ich seh Dich, das bei uns sogar in den Top-10-Listen der besten Gitarrensoli aller Zeiten erscheint.

 

Regy Clasen hatte durch die Mikrofonsuche ihre Panne in einem sonst perfekten Konzert gleich am Anfang. Am Ende des regulären Set, etwa 10 Sekunden vor dem Ende des Titels Fischer, Fischer, setzte für Bruchteile einer Sekunde die Beschallungsanlage kurz aus, eine Schocksekunde für alle, zum Glück war an diesem Abend kein Tornado über das Schmidt’s gezogen.

 

Früher hatte Regy im Publikum Marc Cohn mit tausend anderen glücklich gemacht, an diesem Abend konnten 400 Zuschauer eine (fast) perfekte Liebesnacht für Regy bieten. Fast, da die Zuschauer während der Songs etwas zu ruhig und andächtig blieben, die bequemen Sessel im renovierten Schmidt’s voll auskostend. Und ein kurzes Solo von Martin Meyer, kein Solo von Emre Akca, da gibt es noch Potentiale in kommenden Regy-Konzerten.

 

Absolut herausragend war im wahrsten Sinne des Wortes der Sound an diesem Abend. Volkmar Ebell war dafür verantwortlich und wurde am Ende dafür von Regy lobend erwähnt. Herausragend, da uns nachher wirklich kein Konzert einfiel, das einen so perfekten Mix und satten, nie überzogenen Sound bot wie an diesem Abend. Perfekte Sicht aus der siebten Reihe, die etwas erhöht war, und eine tolle, Bühnenbeleuchtung taten ein übriges ..

 

.. um zu bemängeln, dass eigentlich nur einige TV-Kameras fehlten. So ein Konzert muss doch konserviert werden. Und da Regy nicht nur ein gute Sängerin, sondern eine immer selbstbewusstere Performerin wird, hätte man So ungerecht und Keine Liebe mehr mit dem Götterchor doch gern auch im Bild eingefangen. Auch in Regy’s Gästebuch wird der Druck auf ein weiteres Live-Album und eine Live-DVD immer größer.

 

War es unser bestes Regy-Live-Konzert? Das Ergebnis der Diskussion auf der Rückfahrt, bei weiterhin frühlingshaften Temperaturen, war ein deutliches Unentschieden. Die Konzerte im Mandarin (mit den Boxhorns und mit Background-Chor) und im Schmidts (akustisch, mit Cello, und mit großer Bandbreite im Arrangement) hielten sich nachher die Waage.

 

Und heute, bei Redaktionsschluss, nun wieder die Duplizität der Ereignisse: Frühlingsanfang hat immer mit Regy zu tun. Letzte Aktion vor dem Frühlings-Kurzurlaub 2004 auf Hiddensee war bei uns, das damals brandneue Regy-Album für die Fahrt (Audio-Kassette im Auto) vorzubereiten und dann das Album im Urlaub dauernd zu hören. Letzte Aktion vor dem Frühlings-Kurzurlaub auf derselben Insel in 2006 ist nun, diese Zeilen hier abschließend zu tippen. Wenn Regy singt, ist Frühlingsanfang. Oder: Mit Regy in den Frühlingsurlaub. Ein schönes Motto für die Erfinderin des Frühlingssongs, Endlich.

 

(andreas@lonereviewer.de)

 

Update 14 Tage später:

 Da hatten wir doch ganz vergessen, den “heimlichen” Star in der Setlist dieser Frühlingsnacht zu erwähnen. Heimlich zur Nacht hieß der Titel, der direkt nach dem Konzert das Tribut-Album “Ich träume so leise von Dir” für die Dichterin Else Lasker-Schüler in meine persönliche Merkliste von www.jpc.de wandern ließ. Aus der Liebes-Dichtung  wurde ein treibender Popsong, der dem Lasker-Schüler-Text ein modernes, aber passendes Gewand gab - und der auch textlich perfekt zu Regy Clasen passte. Vielleicht schafft dieses Lied es ja auch auf das neue Regy-Album, ich hoffe, Regy hat sich entsprechende Rechte gesichert.

Nicht ganz so auffällig war das sehr melancholische Frag nicht, warum, von einem Hildegard-Knef-Tributalbum “Ihre Lieder sind anders”. Wenn man sich “die Knef” vorstellt, braucht man irgendeine dunklere, rauchige, verkatzte, schnoddrige Sprech-Chanson-Stimme - und diese Attribute treffen nun einmal nicht auf Regy Clasen zu. Trotzdem: Ein echter Regy-Fan wird wohl auch schon lange im Besitz des Knef-Tribut-Albums sein. Und ein echter Regy-Fan wird im Sommer wohl auch Jever Lime trinken, zumindest sich aber begeistert Jever-Fernsehwerbung anschauen oder besser anhören ...

 

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