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 Blumfeld

Blumfeld

29.04.2007 (Postbahnhof, Berlin) - [Abschiedstour]

Nichts ist so gleich bleibend wie die Veränderung

 

Vorbemerkung: Selbstverständlich war mir die Gruppe Blumfeld schon vor dem heutigen Konzert ein Begriff (vor allem durch die bekannten Singles "Status: quo vadis" und "tausend Tränen tief"). Dennoch möchte ich nicht verhehlen, dass ich wohl nicht auf ein Konzert der aktuellen Tour gegangen wäre, wenn es nicht die offiziell letzte Tour gewesen wäre. Dafür hatte mich das für Blumfeld-Verhältnisse viel zu fröhliche "verbotene Früchte"-Album nicht genug angesprochen. Auch bin ich in diesem Falle wohl kein richtiger Fan und jetzt damit anzufangen ist wohl obsolet. Somit hatte ich nur rudimentäre Kenntnisse über den Werdegang der Band und konnte Live vor Ort nicht einschätzen, in wie weit sich die nunmehr dargebotenen Lieder von den Interpretationen anderer Touren oder den Albumversionen unterschieden. Was mich zu diesem Konzert trieb? Nun, irgendetwas musste ja dran sein, wenn man jahrelang Lieblinge des Feuilletons war und sich nicht von ungefähr seinen (kafka’schen) Namen erspielt hat. Und da es sich um die letzte Möglichkeit handelte sich auch von den Live-Qualitäten zu überzeugen, war ich bei diesem Ereignis dabei. Das es historisch epochal werden würde konnte ich ja damals noch nicht wissen ...

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Nothing’s as constant as change. - Ganz in diesem Sinne ließ sich Blumfeld wieder einmal etwas Neues einfallen. Aber anstatt erneut mit einer neuen Bandbesetzung aufzutrumpfen, folgte zur Abwechslung mal eine wirklich schockierende Ansage. Das Projekt Blumfeld wird nach nunmehr 16 Jahren eingestellt. Im besten Fall war das ein tolles Marketingkonzept, denn die Tickets gingen dadurch zumeist weg wie geschnitten Brot, so dass z. B. für Berlin & Hamburg Zusatztermine Pflicht wurden. Im schlechtesten Fall machen die Jungs, äh Männer, ernst und das war es dann vorerst mit musikalischen Ergüssen aus der Feder von Jochen Distelmeyer. (Oder auch nicht.)

Neben diesen Spekulationen gab es ein hervorragendes Konzert. Zur Zirkusmusik vom Band kamen die Urgesteine Jochen Distelmeyer und Schlagzeuger Andre Rattay nebst ihren derzeitigen Mitstreitern Vredeber Albrecht für die Keyboards und Bassist Lars Precht fast pünktlich unter tosendem Applaus auf die Bühne. Sie legten sogleich mit dem Oldie draußen auf Kaution los, welches die Temperatur im schlecht gelüfteten Saal gleich sprunghaft ansteigen ließ. Nach dem nächsten Stück gab es (endlich) eine knappe Begrüßung ("Hallo Berlin") und es folgte ein weiterer Klassiker. Aber der Abend war ja noch jung, so dass genügend Zeit für aktuelleres (mir besser bekanntes) Songmaterial blieb, um somit den Bogen zu spannen und zum letzten Mal ihre größten Erfolge live zu spielen; so hoffte ich zumindest.


Erst das 6. Stück des Abends Tics war eines vom aktuellen Album verbotene Früchte, aber selbst dieser Text wurde schon gut mitgesungen und die Fans hatten Spaß. Für mich war es überraschend, dass trotz weniger Worte ans Publikum die Band dieses von Beginn an in ihren Bann gezogen hatte. normal ist das nicht. Aber was ist im Bezug auf Blumfeld schon normal?!

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Nun gab es auch einmal eine Einführung zu einem Lied, welches nicht um Superman, Batman, Spiderman oder dergleichen ging, sondern um den Superheld der Pflanzen ... den Apfelmann. Das Stück kam richtig gut beim Publikum an, so dass es gleich mehrmals eine Reprise gab und alle von Wiederholung zu Wiederholung noch lauter mitmachten. Wunderbar. Nach dieser schnellen Nummer kehrte erst einmal Ruhe ein und es wurde nicht, wie bisher nach jedem! Lied, eine andere Gitarre vom Zuarbeiter gereicht. Aber das war nicht die einzige Änderung, denn nach diesem doch eher fröhlichen Lied begann der wehmütige Teil des Abends. Textzeilen wie "es gibt kein Müssen und kein Sollen" verwiesen ungewollt auf den drohenden Abschied dieser Kult-Band aus dem Live-Leben der Fans, welche ihre Idole schmerzlich vermissen werden. Und als ob er meine Gedankengänge erriet, streute Jochen Distelmeyer auch noch Salz in die Wunder durch die passende Aussage "man muss auch loslassen können". Das nachfolgende Eintrag ins Nichts tat sein übriges um das melancholische Gefühl zu steigern und auch hier sollte keine Spitze fehlen: "so sieht's aus Genossinnen & Genossen, das sind die Fakten". In der Wirklichkeit hatte ein schönes Keyboard-Outro und die akustische Version von armer Irrer hatte ich so auch noch nicht gehört. Ansonsten vergingen die Lieder alle wie im Rausch, was leider auch z. T. daran lag, dass die Stimme zu leise aufgedreht war und man nicht jedes Wort verstand.

Die Zugabe begann 22:22 Uhr, indem Jochen alleine zurück auf die Bühne kam und zur Musik vom Band eine tolle gesangliche Darbietung von tausend Tränen tief darbot. Um die immer wieder einmal eingestreuten englischen Phrasen auf den Alben auch an diesen Abend nicht unter den Teppich zu kehren, wurden kurzer Hand Versatzstücke von Madonnas take a bow mit eingefügt, bevor seine übrigen Mitstreiter sich wieder an ihre Werkzeuge begaben und in kongenialer Weise während des Liedes einsetzen, so dass die bisherige Beschallung von Band runtergedreht werden konnte und das Ende vom Lied live gespielt wurde, ohne dass man den Übergang von Playback zur Live-Darbietung gemerkt hätte. Das war wirklich groß und beeindruckend!


Gegen Ende dieses ersten Zugabeblocks wurden wieder einmal Zwischenrufe laut, welche Songs denn noch gespielt werden sollten, v. a. 'Verstärker' wurde mehrmals eingefordert. Aber noch war es nicht so weit und es folgte kommst du mit in den Alltag, welches auch gut als Abschluss des Konzertes gepasst hätte.

Aber glücklicher Weise war bis dahin noch etwas Zeit und die nächste Zugabe folgte 22:50 Uhr mit den ganz alten Nummern Zeittotschläger und nun auch endlich dem sofort von den Massen erkannte Verstärker. Auch dieses wurde noch ausgedehnt, da sowohl Passagen vom Prefab Sprout-Song electric guitars eingebettet wurden, als auch Zeilen aus Cole Porters Schmachtstück everytime we say good bye. Eine tolle Idee.

Die dritte Zugabe nach dieser aufregenden 15-minütigen Zugabe waren wieder aktuellere Songs und es endete alles mit die Welt ist schön. Was für ein Ende. Die Band wurde erneut vorgestellt und verbeugte sich erneut und sichtlich gerührt vor den frenetisch jubelnden Fans. Und vielleicht stimmt es ja, nach so einem Konzert ist die Welt schön. Mission erfüllt.


Aber die Fans wollten immer noch mehr. Obwohl das Oberlicht schon an war und die ersten den Raum verließen rissen die Zugaberufe nicht ab. Und tatsächlich, 10 vor 12 waren sie komplett umgezogen und eigentlich schon auf den Weg ins Hotel doch noch zu einer weiteren Zugabe bereit. Vielleicht war diese ja sogar spontan. Wie dem auch sei, spielten sie erneut kommst du mit in den Alltag. Herrlich, so konnte dann auch der letzte Fan den Abend glücklich beschließen. (Vielleicht war es danach dann 5 vor 12, aber das bleiben Spekulationen. Fakt bleibt indes, dass dieses ein würdiges Abschiedskonzert einer Band war, die mit ihren deutschen Texten so viel(e) erreichte.

PS: Der 5. Mann auf der Bühne war übrigens keine geringerer als Thomas Wenzel von "die Sterne" ('was hat dich bloß so ruiniert'), der mit seinen Flinken Fingern sowohl die neuen Gitarren reichte, als auch selber bei einigen Liedern mit in die Saiten haute.

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Nachbemerkung: Das Überdenken meiner abschließenden Vorbemerkungen lässt mich zu dem Schluss kommen, dass ich diese ohne reifliche Überlegung und lediglich impulsiv niederschrieb. Oder anders: Es war effekthascherisch übertrieben. Natürlich wusste ich, dass dieses Konzert ein "historisch epochaler Moment" werden würde. Denn die Epoche mit Blumfeld war nur vorbei, sozusagen Historie. Vorbei die Zeit der Zweifel, des ungestümen Nachdenkens, des Rebellierens und der ewig neuen Sinnfragen. Selbst Blumfeld wurden auf ihrem letzten Album ruhig und fröhlich, so als wenn der Fieberwahn überstanden und damit irgendwie ein Kreis geschlossen wurde, den man erst einmal als solchen wahrgenommen haben musste. Man kann nicht immer nur gegen alles sein und irgendwann sind die Fragen auch einmal müde immer und immer wieder gefragt zu werden.
Nach so einem Abend weiß man, worum es hier geht und dann weiß man, wo man hingehört. Vielleicht musste es am Ende so kommen, denn man Ende wird ja immer alles gut. Man soll glücklich-beschwingt nach vorne sehen und sich freuen. Die Frage "Kommst du mit in den Alltag?" erfreut bejahen. Wir sind nicht mehr jenseits von jedem, nur jenseits von diesem "Eintrag ins Nichts". Aber es war mehr, viel mehr. Und dann ist es wirklich so. An manchen Tagen scheint man zu sagen: Ich bin o.k. Die Welt ist schön. Ich lebe gern.

(verfasst von l.j.)   www.el-jay.de

## Besetzung ##
Jochen Distelmeyer - Gesang, Gitarren
Andre Rattay - Schlagzeug
Vredeber Albrecht - Tasten
Lars Precht - Bass
Thomas Wenzel - Gitarren
 

## Setlist ##
00. Intro (vom Band)
01. draußen auf Kaution 1994
02. mein System kennt keine Grenzen 1999
03. 2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß 1994 (basierend auf "was werden wir finden?" '88)
04. weil es Liebe ist 2001
05. ich - wie es wirklich war 1994
06. Tics 2006
07. der Apfelmann 2006
08. wir sind frei 2003
09. Eintragung ins Nichts 2001
10. in der Wirklichkeit 2003
11. armer Irrer (akustisch) 2003
12. der Sturm 2003
13. Sonntag 2003
14. die Diktatur der Angepassten 2001
15. so lebe ich 1999

Zugabe #1
16. tausend Tränen tief / take a bow 1999 (Musik vom Band)
17. viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder 1992
18. graue Wolken 2001
19. kommst Du mit in den Alltag 1999

Zugabe #2
20. Zeittotschläger 1992
21. Verstärker / electric guitars / everytime we say goodbye 1994

Zugabe #3
22. April 2006
23. die Welt ist schön 2003

Zugabe #4
24. kommst Du mit in den Alltag 1999

 

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