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 Stefan Gwildis: Neues Spiel

Stefan Gwildis – Neues Spiel

 

Mitte 2003 nach dem Namen „Stefan Gwildis“ befragt, hätte ich mit den Achseln gezuckt. Ist das ein Fußballer oder Politiker oder Fernseh-Moderator? Und hätte man mich dann aufgeklärt, dass dieser Stefan Gwildis Soul-Klassiker mit deutschen Texten singt, dann hätte ich schon abgewunken: "Nichts für mich".

 

Am 3.8.2003 erst lernte ich den Namen Stefan Gwildis kennen, als ich im NDR Fernsehen einen Beitrag über ein neues Luxushotel in Heiligendamm, dem Vorort meines Wohnortes, sah. Da trat Stefan Gwildis in der Bar des Hotels mit seinen Liedern auf. Meiner Frau und mir gefiel diese Umsetzung von Soul-Klassikern und wir kauften daraufhin bei Amazon die CD, die dann von meiner Frau "entführt" wurde und bei ihr im CD-Spieler in "Heavy Rotation" lief. Als Rock-Fan fand ich die CD zunächst zwar erstaunlich nett, aber nicht überaus begeisternd. Meine Ohren änderten sich aber, als ich Stefan Gwildis mit Band einmal im NDR-Fernsehen 60 Minuten lang während eines Live-Konzertes hören durfte. Danach änderte sich auch meine Einstellung zur Studio-CD. Sie lief dann auch bei mir in Heavy Rotation und wird es auch noch tun, bis zu dem Zeitpunkt .. na ja, dazu unten mehr ..

 

Zunächst zu den Eindrücken, die bei „Neues Spiel“ sofort hängen bleiben. Wenn in deutscher Sprache amerikanische Soul-Klassiker „gecovert“ werden, befürchtet man sofort den Abstieg ins schlagerhafte. Um dem entgegenzuwirken, braucht man zunächst einmal eine Gesangsstimme mit „Seele“ und möglichst wenig „Weichzeichner“. Genau diese Seele, und eine gewisse Rauhheit, zeichnet die Stimme und den Gesang von Stefan Gwildis aus. Wenn einer Soul-Klassiker auf deutsch singen „darf“, ohne das Original zu beleidigen, dann er.

 

Der zweite dicke Pluspunkt ist dann die Umsetzung des Themas des Originalsongs und die Wahl der deutschen Worte. Zum Glück verzichtet Stefan Gwildis mit seinen beiden Ko-Textern Rolf Claussen und insbesondere Michy Reincke auf eine direkte Übersetzung. Viel wichtiger war es den Textern wohl, das englische Original vom Klang her („lautmalerisch“) ähnlich umzusetzen. So wurde aus dem Original „Chain of Fools“ dann „Schön, schön, schön“. Der Text „Chain, chain, chain, chain of fools” wurde in “Schön, schön, schön, aber nu’ is’ auch gut” umgesetzt, wobei „chain“ vom Klang her zu „schön“ passt  (gerade, wenn man „schön“ auf Hamburgerisch oder genauer Barmbekerisch ausspricht) und das langgezogene „fools“ dem langgezogenen „gut“ entspricht. Interessanterweise ist die konkrete Geschichte hinter den Originaltiteln dann zwar eine andere geworden, der Text passt aber immer noch thematisch zum Original. Bei „Chain of fools“ erkennt Aretha Franklin, dass sie nicht zu ihrem Partner passt und sie sich für ihn einige Jahre verbiegen musste. Bei Stefan Gwildis sind hier nur die Geschlechter vertauscht.

 

Einer meiner Höhepunkte bei den ruhigeren Songs auf der CD ist Van Morrison’s Titel „Have I told you lately“, dessen Aussage mit dem deutschen Text „Warum komm ich nur so selten dazu“ eingefangen wurde. Eine traumhafte Liebeserklärung an jeden Partner.

 

Bei den druckvolleren Titeln hat Stefan Gwildis zwar im Fall von „Papa was a Rolling Stone“ auf den ersten Blick das Thema gewechselt, als er in „Papa will da nicht mehr wohn’“ einen Vater besingt, dessen Stasi-Tätigkeit ihn nun zum Verlassen seiner Wohnung zwingt, da die betroffenen Nachbarn ihn meiden. Die grundlegende Geschichte ist aber weiterhin beibehalten: Die Nachfrage bei Mutter nach der Vorgeschichte des Vaters. Nur der markante Zeitpunkt, der diese Nachfrage auslöst, ist nun anders: im Original war dies der Tod des Vaters,  in der Übersetzung der Mauerfall.

 

Die Band von Stefan Gwildis ist auch sehr gut. In fast der Besetzung, in der er auch die Live-Konzerte Ende 2003 bestritten hat (siehe Konzert-Review Stefan Gwildis) hatte er auch die Titel von „Neues Spiel“ eingespielt. Auffällig ist, dass er neben der üblichen Rhythmus-Section Bass – Schlagzeug – Percussion sowie Gitarren (insbesondere die Wah-Wah-Gitarre) und Keyboards auch auf echte Streicher und echte Bläser gesetzt hat. Auch das bringt mehr „Seele“ in die Musik, die man beim Soul so dringend braucht. Im Gegensatz zu den Live-Konzerten hatte er bei den Studioaufnahmen sogar ein ganzes Streichquartett dabei (Violine, Violine, Viola, Cello), das vom Cellisten Hagen Kuhr arrangierte Geigenteppiche dazuwebte. Live war Hagen Kuhr auf sich allein gestellt.

 

Was kann man am neuen Spiel nun kritisieren? Sicher ist (wie so oft auch im Pop-Rock-Bereich) die Produktion zu gelackt und zu glatt. Das „neue Spiel“ hebt sich zwar in dieser Hinsicht von den allermeisten anderen Produktionen noch positiv ab, da man eingespielte Instrumente klar erkennen kann und nicht produziertes Synthesizer- und Computer-Programming-Gewaber über allem hört, aber trotzdem: Warum sind die wenigen Instrumental-Soli so schüchtern umgesetzt, dass sie nicht nur sehr kurz sind, sondern das Solo-Instrument auch zu dünn abgemixt wurde (der Rhythmus-Teppich dominiert fast jedes Solo, nur mit spitzen Ohren hört man auch das Solo-Instrument)?  Warum sind einige Soli einfach nicht enthalten und die Titel damit manchmal unter drei Minuten kurz? Warum kommt der druckvolle und rauhe (fast schon rockige) Sound bei einigen Titel zwar live durch, aber nicht im Studio? Und wenn man das „versteckte Lied“ am Schluss hört, kann man sich fragen, warum Stefan Gwildis nicht mehr Eigenkompositionen auf die CD genommen hat – beziehungsweise warum die Solo-CDs, die in den letzten vier Jahren von Stefan Gwildis erschienen sind, kaum ein Mensch kennt.

 

Okay, okay, die Kritik ist nun „wirklich nicht fair“, da man solche Dinge nur dann leidenschaftlich anmeckern kann, wenn man die um so vieles besseren Live-Versionen als Vergleich kennt. Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich seit der Live-Konzerte auch die Studio-CD mit anderen Ohren höre – und die Live-Qualitäten in Gedanken der Studio-Version „dazumische“.

 

Einige Anmerkungen noch zu den einzelnen Liedern (die zum Vergleich angegebenen Live-Laufzeiten beziehen sich auf das NDR2-Radiokonzert vom 3.11.03):

 

Allem Anschein nach bist Du’s (Ain’t no sunshine) (3:07)(live: 4:25): Ein toller Auftakt, das Streichquartett in Aktion, ein  Keyboard-Solo, das tolle Saxophon-Gesang-Duell der Live-Version fehlt aber leider.

 

Immer weiter (Soul shadows)(3:30): Bläser, ein treibender Groove, und eine gute Gitarrenarbeit von Mirko Michalzik sind die Merkmale dieses Titels.

 

Sie ist so süß wenn sie da liegt und schläft (How sweet it is to be loved by you)(4:12)(live: 5:31): Ein Gute-Laune-Titel, druckvoll und schnell gespielt, zum Mitswingen, ein lustiger Text (die besungene Schlafende muss ja im wachen Zustand ein riesiger Unruheherd sein), sinnvollerweise als nächste Single geplant. Aber die Abfragen des Publikums, die dem Live-Auftritt die Würze geben und die Textzeile mit dem verhedderten Kabel, die dem NDR-Live-Auftritt schon fast Kultstatus bescheren, fehlen einfach sehr. Dafür auch in dieser Studio-Version ein schönes Duell Gitarre gegen Gesang und eine stimmungsvolle Hammond-Untermalung.

 

Mitten vorm Dock Nummer 10 (Sittin on the dock of the bay)(2:46): Hauptmerkmal ist ein weicher Bläserteppich, der diesen Otis-Redding-Titel untermalt. Leider wird der Titel beim Beginn des Pfeifens schon ausgeblendet.

 

Sie lässt mich nicht mehr los (Me and Mrs. Jones)(5:05)(live: 6:39):  Sanfte Bläser, die Streicher, und ein wunderschöner Background-Gesang machen aus diesem Titel einen Titel zum Träumen – na ja, man muss ja nicht gleich über Affären wie der im Text angesprochenen nachdenken.

 

Wem bringt das was (What’s going on)(4:20)(live: 6:04): Für mich einer der besten Texte des Autorengespanns. Gerade in 2003 sind Zeilen wie „Es muss einen Weg geben ohne Gewalt zu leben“  und „Krieg ist nicht die Antwort auf die Fragen unserer Zeit“ wichtig, gerade, wenn sie so schön in Musik verpackt sind wie diese. Die Message wird nicht plump, sondern mit Seele herübergebracht.

 

Schön, schön, schön (Chain of Fools)(3:34)(live: 8:56) : Einer der Höhepunkte des „neuen Spiels“, ein sehr druckvolles Lied, fast ein Soul-Rocker, mit starken Bläsern, tollem Gesang und passendem Background-Chor, der sich im Schlussteil auch einmal in den Vordergrund schieben kann. Einziger Schwachpunkt dieses Titels: den gibt es auch in der Live-Version,  fast dreimal so lang, dreimal so druckvoll und dreimal so gut. Das Hammond-Solo in der Studio-Version ist zum Beispiel zu schüchtern und wird vom Rhythmus-Teppich überlagert, und dann wird der Titel einfach zu früh ausgeblendet, das Posaunen-Solo des Live-Auftritts fehlt. Sicher für mich DAS Live-Lied 2003, leider 2003 nie auf CD oder DVD erschienen (das wird sich 2004 ja ändern).

 

Wirklich nicht fair (Family Affair)(2:53): Von Stefan Gwildis ein sehr persönliches Lied über seinen Bruder, der an den ihm gesetzten Zwängen gescheitert war. Schöne Gitarren-  und Keyboard-Arbeit. Es ist nicht im Live-Programm als einziges Lied dieser CD, vielleicht, weil der Text doch zu persönlich ist. Die hektische Ausblende am Schluss hätte man auch etwas strecken können.

 

Papa will da nicht mehr wohn’ (Papa was a Rolling Stone)(6:42)(live: 6:25): Der absolute Höhepunkt der Studio-CD, wenn man die druckvolleren Lieder betrachtet. Stefan Gwildis und Band machen hier auch im Vergleich zum Original alles richtig, SO müssen Gitarre, Streicher, Trompete und Bass eingesetzt werden. Und endlich lassen sie sich auch im Studio mehr als sechs Minuten Zeit, um diesen Song aufzubauen. Die Streicher und die Trompete bekommen jeweils ihr Solo, die Trompete wird mit Echo-Effekten angereichert. Leider hört man hier aber eher schüchterne Streicher beim Solo, das können sie live auch nur mit einem einsamen Cello druckvoller.

 

Lass ma’ ruhig den Hut auf (You can leave your hat on)(4:19)(live: 4:22): Singt hier Joe Cocker in deutsch? Auch hier trifft Stefan Gwildis den Ton, um einen unter anderem von Joe Cocker gesungenen Titel nicht lächerlich aussehen zu lassen. Die in diesem Fall fast wörtliche Übersetzung passt zur Musik. Bläser und Background-Sängerinnen geben hier neben Stefan Gwildis den Ton an.

 

Que sera, sera (5:02): Ein Zwitter zwischen Schlager und herausgeschrieener Blues-Leidenschaft, trotzdem für mich der Skip-Titel auf der CD, sorry, was sein muss, muss sein.

 

Warum komm’ ich nur so selten dazu (Have I told you lately)(3:15)(live: 4:06): Der absolute Höhepunkt der Studio-CD bei den leiseren Liedern. Die Stimmung in diesem Van-Morrison-Titel ist gut getroffen, tolle Klavieruntermalung inklusive Klavier-Solo, ein schöner Hammond – Bläser - Streicher – Teppich. Der Titel für die Männer, denen bei Liebeserklärungen die Worte fehlen, oder für solche immer keine Zeit haben.

 

Lass mich nicht allein heut Nacht (Have a little faith in me)(2:39): Ebenfalls ein sehr stimmungsvoller, leiser Titel von John Hiatt, der mir live (der Gesang wird ausschließlich mit E-Gitarre begeleitet) noch besser gefällt. Die im Booklet abgedruckte letzte Strophe fehlt auf der CD (warum eigentlich? Mit dieser Frage wurde auch schon Stefan Gwildis’ Gästebuch im Internet gefüllt), dafür gibt es eine überlange Pause zum versteckten Lied, das im Booklet nicht erwähnt ist.

 

Geh doch (Eigenkomposition, zuerst veröffentlicht auf Wajakla, 2002)(5:07)(live: 5:49): Dieses versteckte Lied (im letzten Track nach einer langen Denkpause) ist sparsam mit Klavier und Trompete umgesetzt, eine tolle Ballade. Warum wurde das Album „Wajakla“ eigentlich kein Chart-Erfolg? Naja, wajakla, oder besser ist ja klar, warum: Gute Musik bildet sich seit fast zwei Jahrzehnten schon nicht mehr in gute Chart-Positionen ab.

 

Eine letzte Bemerkung zum Vergleich der Studio- und Live-Versionen:

Würde Stefan Gwildis im alten Stil Singles mit A- und B-Seiten herausbringen, die A-Seite mit der Studio-Version und die B-Seite mit der Live-Version, ich würde immer die B-Seite auflegen. Das ist zum Glück das Los von gaaanz großen Bands. Als 1973 die Hard-Rocker von Deep Purple eben eine solche Single von „Smoke on the Water“ herausbrachten, wurde die B-Seite (live) der Top-Hit. Und Wolf-Dieter Stubel, der damalige NDR-2-Hitparaden-Moderator, bekam einmal gewaltigen Ärger, als er einen Hörerwunsch erfüllt und „Smoke on the Water“ spielte – aber die A-Seite – die langweilige – die drucklose – die ohne Improvisationen. Später tauschte die Plattenfirma A- und B-Seite einfach gegeneinander aus.

 

Das „neue Spiel“ von Stefan Gwildis war für mich DIE CD-Überraschung des Jahres 2003.  Während ich Anfang 2003 gehofft hatte, dass die neue Studio-CD von Deep Purple hoffentlich überragend wird, hatte ich mit einem Sänger Stefan Gwildis eben gar nicht gerechnet. Schon gar nicht mit Soul-Musik, und erst recht nicht mit deutschen Texten. Das „neue Spiel“ gehört zu meinen Top-5-Neuerscheinungen im Jahr 2003. Dass es nicht DIE Top-Position wurde, liegt an der etwas glatten Studio-Produktion. Das „neue Spiel“ live, das in wenigen Wochen zunächst auf DVD erscheinen soll, hätte bei mir locker die Spitzenposition ergattert – und kann diese für 2004 auch wohl erreichen. Ich hoffe nur, dass die Plattenfirma erkennt, dass Autofahrern eine DVD wenig bringt –, und eine 80-Minuten-Live-CD nachschiebt.

 

 

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