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 Regy Clasen: So Nah

Wege zu guter Musik sind heutzutage sehr kompliziert. Um zum Beispiel auf das Album "So Nah" von Regy Clasen gestoßen zu werden, bedurfte es schon diverser Zufälle. Der erste bestand darin, im Sommer 2003 durch eine Fernsehsendung über ein Hotel in meinem Wohnort den Hamburger Soul-Sänger Stefan Gwildis kennengelernt zu haben. Nach einem Live-Konzert von Stefan Gwildis und seiner Band, das am 1.11.2003 im NDR-Fernsehen gesendet wurde, machte ich Andre vom Lone Reviewer darauf aufmerksam, dass er gerade ein tolles Konzert mit einer tollen Band verpasst hatte.

 

Interessanterweise meinte Andre, er hätte von dem Konzert gewusst, nur unter anderen Vorzeichen: Er hatte erfahren, dass die Hamburger Sängerin Regy Clasen da bei noch jemanden mit dem Namen Gwildis auf der Bühne stand und deshalb das Konzert interessant sei. Nach kurzer Diskussion einigten wir uns dann auf die kleine, blonde Backgroundsängerin im Chor von Stefan Gwildis. Regy Clasen ist eine Solo-Sängerin? Mit eigenem Album? Ich erfuhr von Andre, dass Regy im Jahre 2000 sogar auf SAT 1 und auf VH-1 zu sehen war. Leider gibt es den einzigen Sender mit guter Musik nicht mehr in deutschen Landen. Zum Glück gibt es Webdarstellungen und ich besuchte die Web-Präsentation von Regy Clasen.

so-nah-cover

In einigen frühen Morgenstunden besuchte ich immer wieder diese Website und hörte die 90-Sekunden-Cuts der Lieder des ersten Albums von Regy Clasen durch. Ich blieb irgendwie an der Stimme hängen, an den sehr sparsamen, aber extrem schönen Arrangements, und schließlich an den zum Glück komplett bereitgestellten Texten.

 

Über Amazon bestellte ich mir dann als eines "meiner" Weihnachtsgeschenke die CD von Regy Clasen. Als ich sie dann endlich in voller Länge und in Ruhe anhören konnte, am besten mit Kopfhörer und mit geschlossenen Augen, merkte ich, dass bisher noch keiner so unsingbare und unmelodische deutsche Worte wie "Gefährte" oder "ungerecht" singen konnte wie Regy Clasen. Und selbst ein einfaches, ganz leise und mit abgesenkter Stimme gesungenes "und" in einem Titel war plötzlich aufregend schön. "So Nah" zählte binnen Tagen zu meinen Lieblings-CDs für ruhige Stunden.

 

Zu den einzelnen Titeln:

 

Ich seh Dich: Mit Akustikgitarre und Bass eingespielt eine der schönsten Balladen dieses Albums, eines meiner Lieblingslieder.

 

Liebesnacht: Schon beim ersten Anhören war dieses Lied sofort mein Lieblingslied auf dem gesamten Album. Treibender Bass, deutsche Soul-Musik in ihrer besten Form.

 

Blind: In diesem Titel hält der "Groove" der "Liebesnacht" an. In der Produktion wurden kleine Details wie das Knistern alter Vinyl-LPs ergänzt. Wieder ein knackiger Bass und die Gitarre lassen einen mitswingen.

 

Am Fenster stehn: Ein wunderschöner Text, wunderschön gesungene Worte. Das oben schon erwähnte "Gefährte" stammt aus diesem Titel. Und ein kleines (das einzige) "und" im Text, um zwei Textzeilen zu verbinden, ist so schön gesungen (geflüstert) , dass man  dahinschmelzen kann. Dazu noch eine schöne Melodie auf dem Klavier.

 

Wo ist zuhause: In diesem Stück gibt es nun für mich der Produktionseffekte ein paar zu viel. Der Wechsel aus Sprechgesang und schön gesungenem Refrain ist gelungen, die anderen Effekte stören aber irgendwann die schöne Grundmelodie. Nach einigen Tagen hörte ich als Vergleich die unplugged-Version dieses Titels, die bei Regy Clasen im Web als mp3-File angeboten wird: Welch ein Unterschied. Nur Gitarre, Klavier und Regy´s Stimme reichen, um aus diesem Titel einen weiteren Höhepunkt zu machen - der leider so auf dem Album aber nicht enthalten ist.

 

So nah: Auch hier ein Titel mit Sprechgesang-Anteilen und einigen Produktionseffekten. Interessanterweise gibt es Regy-Fans, die auch zu diesem Titel eine Unplugged-Version suchten, nachdem sie ein Konzert mit Regy Clasen besucht hatten, das Lied live ganz toll fanden, und es in dieser Version dann nicht auf dem Album fanden (dazu gibt es einen Eintrag in Regy´s Gästebuch im Web).

 

Immer noch: Als witziges Detail der Produktion ist hier der Mono-Schellack-Sound des Gesangs zu vermerken. Weiterhin gibt es Streicher zur Untermalung.

 

Männer: Sicher gefährlich, DEN Titel DER Ikone Herbert Grönemeyer neu zu interpretieren, aber für mich hervorragend gelungen. Wer einmal auf das "Männer sind so verletzlich" achtet, merkt, dass Regy dies anders, ohne Verzögerung, singt. Ohne Herbert Grönemeyer, für mich der Star in der deutschen Rockmusik, zu nahe treten zu wollen, aber  "Männer nehmens schwer.." hat noch nie jemand mit so toller Stimme gesungen wie Regy Clasen.

 

Wo bist Du: Als ich diesen Titel zum ersten Mal von CD hörte, kannte ich den Text noch nicht. Irgendwie hatte ich auch zunächst das Booklet übersehen, dass in den Pappeinband der CD vorn eingeschoben war. Der Text ging aber sofort unter die Haut, man ahnte, dass ein enger Freund oder Verwandter endgültig gegangen war. Das "Wo bist Du" im Text wurde "herausgeklagt", nicht nur gesungen. Als ich danach dann das Booklet entdeckte, bestätigte sich der Verdacht im Vorwort des Textes. Das Lied war Conny gewidmet, ihrer Partnerin bei "Five Live", einer Vokalgruppe, in der Regy Mitglied war. Conny war an Krebs gestorben.

 

So ungerecht: Wieder einer meiner Lieblingstitel auf dem Album. Sehr schöne Gitarre (warum heißt sie in den Credits nur Wohnzimmergitarre?), aber leider klingt die Percussion nach Drum-Computer und nicht nach realem Schlagzeug. Diesen Titel möchte ich mal live Hören mit Regy Clasen und einer kleinen Begleitband dazu.

 

Ergib Dich: Mit diesem Titel, einer wundervollen Ballade, wurde Andre auf Regy Clasen aufmerksam. Auf der Website von Regy Clasen gibt es diesen Titel wieder in einer noch wundervolleren Akustikversion und ein Video dazu - anscheinend das Video, das bei VH-1 damals gesendet wurde.

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Ein kleiner Nebeneffekt auf diesem Album. Der Sound ist so glasklar, dass ich beim ersten Anhören mehrfach zur Tür gerannt bin, da ich unsere Türglocke zu hören glaubte. Dabei war dies eine in die Musik eingearbeitete Glocke gewesen.

 

Wenn man Kritik an diesem Album üben will, dann sind es teilweise die Effekte und das Computer-Programming, das an einigen Stellen übertrieben wurde ("Wo ist zuhause" im Vergleich der Studio-Version und der Unplugged-Version ist hier das beste Beispiel), aber so etwas ist natürlich auch subjektiv und Geschmackssache. Außerdem hätte die Kapazität der CD noch einige Minuten Platz gelassen für ein richtiges "Ende" vieler Titel. Bei einigen Titeln wird simpel der "Hahn abgedreht" (kein Fading, kein Ausblenden), das Ende kommt dann überraschend und schmerzlich. Auch das muss Live zum Glück anders sein, dort muss man das Ende eines Songs zelebrieren. Warten wir also einmal auf Regy Clasen´s erste Live-CD ohne Effekte.

 

So, mit Hilfe unseres Luxushotels in Heiligendamm, dem Stefan Gwildis, Andre's Tipp, doch mal auf die Backgroundsängerin zu achten, habe ich sie nun gefunden, die deutsche Cara Dillon (die auch auf dem Lone Reviewer besprochen wird). Oder war es (auch vom zeitlichen Ablauf her) eher umgekehrt: Ist Cara Dillon die irische Regy Clasen?

 

Anspieltipps: Ich seh Dich, Am Fenster Stehn und Ergib Dich als Balladen. Liebesnacht, Blind, Männer und So ungerecht, wenn auch etwas in die Wippmuskeln gehen soll.

 

Dass ausgerechnet der Titel Liebesnacht mein Lieblingstitel ist, macht es sicher schwer, vor meiner Frau sorgfältig zu erklären, dass man sich im Stefan-Gwildis-Konzert als Einlage während der Pause gern eine Liebesnacht mit Regy Clasen gewünscht hätte - nein, nein, sooo war das ja nicht gemeint, den Titel "Liebesnacht" gesungen von Regy Clasen, "gesungen von", nicht "mit". Man lernt eben die sorgfältige Wortwahl, wie auch Regy Clasen die Worte in allen Texten sehr sorgfältig gewählt und mit viel Liebe und Hingabe gesungen hat ...

Andreas (andreas@lonereviewer.de)

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Hasko Witte (www.bkw-net.de)

Foto-Credits: Jörg Grosse Geldermann, Sebastian Schmidt

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